31. Mai 2023 / Reportage

Es geht nichts über das gute Zusammenspiel aller Kräfte

In Deutschland, Österreich und ganz besonders in Frankreich musste das Zollpersonal in den letzten 20 Jahren massive Umwälzungen über sich ergehen lassen. Die Lehre aus den Nachbarländern ist: Nichts ist wichtiger als der Dialog auf Augenhöhe zwischen Gewerkschaften, Anspruchsgruppen und Staat – wenn nötig, muss man ihn erzwingen.


An der jüngsten Garanto-Delegiertenversammlung vom 5. Mai in Olten waren drei wichtige Vertreter der Gewerkschaften unserer Nachbarländer zu Gast. Manuela Donà, Generalsekretärin der französischen CGT, Wolfgang Kailer, Zollbeamter sowie Gewerkschaftsvertreter des deutschen BZD und Fritz Mannsberger, Vorsitzender der Bundesfachgruppe Zoll Österreichs haben aus ihrer Perspektive die Herausforderungen für die Gewerkschaften aus erster Hand geschildert. Sie gaben Garanto fürs Magazin Auskunft und berichteten von ihren Erfahrungen.

Was die drei Nachbarländer insbesondere gemeinsam haben, ist ihre EU-Mitgliedschaft. Die zu bewachenden Aussengrenzen haben sich zunächst 1995 und dann noch einmal 2004 mit der Erweiterung der EU auf zehn osteuropäische Staaten verschoben. Die drei Nachbarländer haben einzig mit der Schweiz eine Aussengrenze, zudem Österreich mit Liechtenstein und Frankreich seit dem Brexit mit Grossbritannien.

Die Zollverwaltungen dieser Länder passten sich ruckartig und nicht ohne Schmerzen an die neuen Realitäten an. Das erste kleine Erdbeben bedeutete, dass das EU-Recht die regelmässigen Kontrollen an der Grenze de facto nicht mehr erlaubte. Sowohl 1995 als auch 2004 mussten viele Grenzwächter entweder umsiedeln, neue Aufgaben in einem neuen Berufsprofil übernehmen oder aber den Weg zur Polizei suchen. 


Besonderheit Beamtenstatus

Auch ein besonderer Unterschied zur Schweiz ist, dass diese drei Länder noch den Beamtenstatus kennen. Das heisst einerseits, dass die Staatsangestellten auf Lebzeiten Beamte und somit unkündbar sind. Andererseits hat der Staat die Verfügungsmacht, Beamte dorthin umplatzieren zu lassen, wo er denkt, dass er sie braucht. Im Fall Deutschlands und Frankreichs könnte dies bedeuten, dass jemand über Hunderte Kilometer von einem Ende des weiten Landesgebiets ans andere Ende beordert würde.

In Österreich hat man 2001 beschlossen, beim Zoll den Beamtenstatus abzuschaffen. Die bestehenden Beamten sollten den Status jedoch bis zu ihrer Pensionierung behalten. Alle neuen Staatsangestellte wurden seitdem unter dem gängigen Arbeitsrecht eingestellt. Die letzten Beamten werden somit in rund 20 Jahren in Pension gehen.


Die Lehre: Dialog führt immer zu den besten Lösungen

In allen drei Ländern lässt sich zusammenfassend Folgendes feststellen: Alle Lösungen, die der Staat und die Gewerkschaften zusammen erarbeitet haben, haben sich bewährt. Während in Frankreich viele verschiedene Gewerkschaften zusammenspannten und auch Politik und Wirtschaft miteinbeziehen konnten, durften Deutschland und Österreich teilweise auf die Unterstützung der Polizeigewerkschaften zählen. Zudem konnten die beiden deutschsprachigen Länder auf einen Staat bauen, der sich nie zu schade war, auf Entscheide zurückzukommen und Massnahmen zum Wohl aller zu korrigieren. Letztlich erkannten sie, dass die Erfahrung und die Motivation des Personals der Zollverwaltung entscheidend war für ein gutes Gelingen ihrer Reformen.

Die nächsten vier Seiten zeigen die vielen Parallelen zwischen den drei Ländern und der Schweiz auf: Digitalisierung, Einbezug des Personals, soziale Partnerschaft und andere.



Frankreich: Die Gewerkschaften spannten zusammen – auch mit Politik und Wirtschaft


Frankreich erlebte einen langen Schrecken ohne Ende: Zuerst die Auflösung von vielen Zollstellen mit dem Beitritt zur EU, dann Brexit und jetzt der Transfer der Zollaufgaben in ein anderes Ministerium. Nur die Zusammenarbeit der Gewerkschaften verhinderte die schlimmsten Fehler eines grundsätzlich falsch geplanten Projekts. Der Kampf geht aber noch weiter.

Von den drei beschriebenen Ländern ist Frankreich dasjenige, das die Gewerkschaften in den letzten Jahren am meisten forderte. «Es ist eine Restrukturierung in Dauerschleife», fasst Manuela Donà, Generalsekretärin der CGT Douanes die Situation zusammen.


Das Scheinargument des Staates: Kosten sparen

Aber von vorne: Frankreichs Zoll erlebte seit der EU-Gründung grosse Einschnitte, insbesondere in den letzten zehn Jahren. Ab 2013 reduzierte der Staat den Personalbestand beim Zoll von 23 000 zunächst auf 15 000 Stellen. Dann kam der Brexit, und darauf noch die Attentate in Paris. Da der Zoll in der Terrorismusbekämpfung mit engagiert ist, wuchs der Personalbestand wieder ein wenig, auf heute 17 000 Stellen an.

Die grössten Kämpfe folgten aber erst danach, aufgrund eines vom Staat ohne Not hervorgerufenen Problems: 2018 beschloss dieser den Transfer der steuerlichen Aufgaben des Zolls von der Zollverwaltung ins Finanzministerium. Der Vorwand: Steuern, Abgaben und Finanzen gehörten zusammen und durch die Übersiedlung dieser Aufgaben spare der Staat Personalkosten. Es sollten zunächst 700 Stellen (Stand 2022) und in den Folgejahren weitere rund 3000 Stellen abgebaut werden, weil es sie nicht mehr brauche.

«Wir konnten diesen Transfer nicht nachvollziehen», sagt Donà, «weil der Zoll die Kontrollen und die Steuereintreibungen sehr effizient abwickelte. Der Vorwand, man spare Kosten und das käme der Bevölkerung zugute, war Unsinn.» Das Gegenteil wäre nämlich der Fall gewesen: Der Staat beschloss, gewisse Kontrollen ganz fallen zu lassen, was Ausfälle bei den Steuereinnahmen um mehrere Milliarden jährlich bedeutet hätte.


Grosser Mobilisierungstag

Was insbesondere irritierte, war die komplette Abwesenheit eines Sozialplans, um die Stellenverluste abzufedern. Notabene: Stellenverluste ohne Sinn und Zweck, wie die Gewerkschaften argumentierten. Alle Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Staat schienen zu scheitern. Der Höhepunkt der gewerkschaftlichen Proteste war ein Streik am 10. März 2022. «Das war der grösste Mobilisierungstag des Zolls seit sehr langer Zeit. Und nach diesem Tag hat uns das Finanzministerium endlich empfangen und uns gesagt, dass es sich für einen erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen einsetzen werde. Unsere Minister haben Horror davor, dass die Zollbeamten auf die Strasse gehen.», so Donà.

So gesehen führte der Streik zum Durchbruch. Donà: «Der Minister unterbreitete uns einige Vorschläge. Wir haben die Verhandlungsrunde daraufhin mit unserer Generaldirektion abgeschlossen. Es gab also einige Fortschritte für die Kollegen, auch wenn wir immer noch gegen die Übertragung der Steueraufgaben sind. Der Staat ist übrigens gerade dabei, den Transfer mancher Aufgaben rückgängig zu machen.»


Erdölsteuer: Der Staat befahl, was niemand wollte

Donà erklärt am Beispiel der Energiesteuern, dass die Zöllner direkt in den Raffinerien tätig waren, wo sie die Steuern für Öl- und Gas-Importe Hand in Hand mit den Betrieben vor Ort erhoben. Der Staat wollte diese Tätigkeit komplett streichen, um Personal zu sparen. «Wir konnten das nicht verstehen. Wir wendeten uns an die Ölgesellschaften. Diese sind nicht immer unsere Freunde, aber sogar sie haben uns unterstützt: Sie wollten, dass diese Aufgabe beim Zoll bleibt, auch weil wir Tag und Nacht präsent sein können.», erklärt Donà. «Die Einnahmen daraus gingen zum Teil an den Staat und zum Teil an die Regionen. Letztere unterstützten unsere Forderung auch, denn sie machten sich Sorgen, dass den betroffenen Arrondissements  Départements massive Steuereinnahmen entgehen würden.»

Der Staat blieb angesichts dieser Argumente immer noch eine Erklärung schuldig, warum sich der Transfer der Zollaufgaben ins Finanzdepartement überhaupt rechnen sollte. Donà stellt fest: «Die Reorganisation scheint unproduktiv und unverständlich zu sein. Hier glaube ich, machen die Entscheidungsträger den Fehler: Wenn sie die Massnahme nicht rechtfertigen können, liegt das wohl genau daran, dass sie auch nicht zu rechtfertigen ist.»


«Wofür braucht es den Zoll?»

Das Grundproblem von Frankreichs Zoll war ein existenzielles geworden: «2019 mussten wir anfangen, über die Rolle des Zollbeamten aufzuklären: Was ist die Aufgabe und der Auftrag des Zöllners.» Angesichts der wegfallenden Grenzen für die Wirtschaft – bis auf jene zur Schweiz – ist der Öffentlichkeit nicht klar, wofür es Zöllner überhaupt noch braucht. «Beamten in Frankreich wird sehr oft ein schlechtes Gewissen gemacht. Man macht uns klar, dass wir den Staat viel Geld kosten. Wir sollen jede Veränderung diskussionslos akzeptieren und uns glücklich schätzen, dass wir einen sicheren Job haben.»

Darum war den Gewerkschaften klar: Ohne Aufklärungsarbeit läuft nichts. Man musste die Fakten allen zugänglich machen – auch den Abgeordneten: Wie in der Schweiz kennt sich auch in Frankreich kaum ein Mitglied des Parlaments in Sachen Zoll aus – nicht einmal jene aus den Wahlkreisen der direkt betroffenen Grenzregionen.


Der Drei-Punkte-Plan: Vereinigen, sensibilisieren, kommunizieren

Wie sollten die Gewerkschaften die Fakten auf den Tisch legen, wenn sie zudem so zersplittert sind wie in Frankreich? Die über 100-jährige CGT, selber Dachorganisation von 32 Sektionen für verschiedene Branchen, ist nur eine von sieben teils sehr unterschiedlichen Zollgewerkschaften. Die CGT vereinigt sieben Prozent des Zollpersonals unter sich. Das klingt nach wenig, ist aber immerhin ein Drittel der gewerkschaftlich organisierten Zöllner:innen : Nur rund 20 Prozent des Zollpersonals ist Mitglied in einer der sieben Gewerkschaften. Donà setzte folgende Priorität: «Wir brauchten einen gemeinsamen Forderungskatalog. Ich habe diese Idee sehr stark vorangetrieben.» So war nicht nur Einigkeit in den Absichten gewährleistet, sondern auch in der Kommunikation.

Die Vereinigung mit den anderen Gewerkschaften in den sogenannten «intersyndicales» war dann der erste Schritt dieser Sensibilierungsarbeit. «Nicht eine einzige Organisation hat auf eine Teilnahme verzichtet, und zwar vom Anfang bis zum Schluss.» Der zweite Schritt betraf die Sensibilisierungsarbeit in den beiden Parlamentskammern, um die Aufmerksamkeit auf die schweren Mängel der geplanten Restrukturierung zu lenken.  Der dritte Schritt: Die Gewerkschaften koordinierten Massnahmen und Aktionen für die Kommunikation. Dazu gehörten auch Flyer, um die Rolle und den Zweck des Zolls verständlich zu machen.


Gewerkschaften dürfen alle Angestellten anschreiben

Die Gewerkschaften haben zudem eine Möglichkeit, welche Garanto im Moment fehlt: «Wir haben eine Charta mit der Verwaltung unterzeichnet, so dass wir die Mailinglisten der Angestellten nutzen dürfen, um alle anzuschreiben. Das funktioniert sehr gut, unabhängig davon, ob sie gewerkschaftlich organisiert sind oder nicht.»

So stellten alle Gewerkschaften zusammen eine Kommunikationsstrategie auf, wie sie die verschiedenen Zielgruppen erreichen konnten, um etwas zu begeben . Die inhaltliche Strategie fasst Donà folgendermassen zusammen: «Wir kommunizierten alles, was wir tun. Jedes Mal, wenn wir an die Abgeordneten, die Beamten und die Verwaltung geschrieben haben, konnten wir auch am gemeinsamen Forderungskatalog für die soziale Begleitung weiterarbeiten. Nach allen Tätigkeiten und Versammlungen schickten wir Informationen und Dokumente systematisch an alle Angestellten.»

Jeder Staatsangestellte hat zudem eine bezahlte Stunde pro Monat oder drei pro Trimester für gewerkschaftliche Information zur Verfügung. «Wir nutzen diese Zeit systematisch. Diese Informationsstunden sind besser als Mails, weil man sich direkt austauschen kann. Die Angestellten sind viel aufmerksamer, man hört uns zu. Wir lassen sie auch am Forderungskatalog teilnehmen. Die Staatsangestellten schätzen diese Gewerkschaftsstunde sehr.» Ausserdem steht die Generalversammlung der Gewerkschaft stets allen offen.


Politik und Wirtschaft erreicht

Die vom Staat verordneten Umwälzungen hätten nicht nur für die Einnahmen Folgen gehabt. Auch Teile der Wirtschaft hatten Interesse, dass die Warenkontrollen nicht geschwächt wurden. «Ein Abgeordneter trug viel zu unserer Politik bei, im Sinn des Schutzes der Wirtschaft. Aber politisch bestehen auch Interessen, zum Beispiel für den sozialen und ökologischen Schutz. Der Zoll kann seine Rolle in diesem Sinn wahrnehmen, dass Ware vom anderen Ende der Welt nicht gleich behandelt wird wie Ware aus inländischer Produktion», erklärt Donà die politischen Implikationen. «Ich arbeite mit Patrons aus der Wirtschaft zusammen, die ihre Produktion nicht ins Ausland auslagern wollen.» Donà stellt zwar fest, dass dies nicht die Rolle des Zolls ist, aber die Zusammenarbeit lege trotzdem Bedürfnisse der Wirtschaft offen, welche politisch diskutiert werden müssten. Dies, weil es nicht angehe, dass eine Regierung einen populistischen Entscheid fällt, der niemandem etwas bringt.



Die Digitalisierung bereitete dem deutschen Zoll Freude

Eine effektive Partnerschaft zwischen Staat und Gewerkschaften führte in Deutschland zu einer aussergewöhnlich geschmeidigen Reform. Eine gut umgesetzte Digitalisierung empfanden die Zollmitarbeitenden als Gewinn. Ausserdem korrigierte der Staat immer wieder gewisse Entscheidungen zugunsten des Wohlbefindens seiner Beamten, was sich auch für den Arbeitgeber selbst regelmässig auszahlte.

In unserem nördlichen Nachbarland stechen zwei Merkmale ganz besonders hervor: Der Staat nimmt die Einwände der Gewerkschaften sehr ernst und die Digitalisierung schreitet sehr gut voran.

Die erste Besonderheit sieht die Gewerkschaft BDZ als erfolgreiche Kompromiss-Macherin beim Staat. Dabei setzt sie die Interessen der Einzelnen gut ein und erreicht oft Korrekturen, die letztlich allen Seiten zugutekommen.


Staat nahm das Personal ernst

Als der Staat beschloss, die ehemals fünf Bundesfinanzdirektionen mit 7800 Beschäftigten auf das Jahr 2016 hin zentral in Köln/Bonn zur neuen Generalzolldirektion zusammenzulegen, intervenierte der BDZ. Der Staat liess sich darauf ein, die Generalzolldirektion stattdessen auf neun Direktionen zu verteilen. Diese Kurskorrektur sah nur Gewinner: Die Beamten mussten nicht umziehen (oder eine neue Stelle suchen) und die Generalzolldirektion war durch diese sanfte Variante vom ersten Tag an voll handlungsfähig. «Wir achten auf diese Aspekte als Gewerkschaft. Gottseidank sind wir bei der Verwaltung auf offene Ohren gestossen. Wir brauchen hochmotiviertes Personal.», betont BDZ-Gewerkschaftsvertreter Wolfgang Kailer.

Dennoch war der Umbau des Deutschen Zolls massiv: «Die Hauptzollämter wurden im Zuge der Osterweiterung der EU von 120 auf 41 reduziert. Uns ist es gelungen, diesen Abbau überwiegend sozialverträglich zu gestalten.», sagt Kailer. Dabei sprach sich der BDZ für einen Sozialmassnahmenkatalog aus, «damit die Situation des Familienvaters stärker berücksichtigt wurde als die eines Neuangestellten. Bis auf ganz wenige Ausnahmen arbeiten nun alle dort, wo sie wollten.» Teils geschah dies auch aufgrund natürlicher Fluktuationen, weil manche nur vorübergehend wechseln mussten und nach kurzer Zeit an ihre alten Stellen und Funktionen zurückkehren konnten, weil diese wieder frei wurden. «Ich sagte der Verwaltung: Nehmt euch die Zeit, mit den Beschäftigten zu reden und schaut, welche Massnahmen getroffen werden können. Dem BFM war es deshalb ganz wichtig, die Gesetze in einem Zeitfenster von ein bis zwei Jahren umzusetzen, um sozialverträglich vorzugehen. Damit hatten die örtlichen Dienststellen einen Spielraum. Viele Probleme erledigten sich dann wie beschrieben auf der Zeitschiene.»

Ein typisches Beispiel hierfür ist die Grenzöffnung zu Polen und Tschechien im Jahr 2004, die zum Wegfall von über 1000 Stellen führte. «Wir haben es geschafft, mit Kompensationsmassnahmen für fast 1000 Beschäftigte Anschlusslösungen zu finden. Wir konnten den einzelnen Beschäftigten Folgendes anbieten: Die gleiche Tätigkeit, aber vielleicht Hunderte Kilometer weg vom jetzigen Standort, oder der gleiche Standort, aber mit einer neuen Tätigkeit.»

Der Staat kam also insbesondere langjährigen Beschäftigten sehr entgegen. «Das war nicht so selbstverständlich», hält Kailer fest, «und kam beim Personal sehr gut an.» Es sei nicht nur im Sinne des BDZ gewesen, sondern auch der Verwaltung: «Wer gegen seinen Willen eine andere Tätigkeit oder einen anderen Arbeitsort hat, der wird die ersten Monate nicht motiviert sein, sondern die Situation beklagen. Wenn sich einer hingegen identifiziert mit seiner Arbeit, ist er ein sehr wertvoller Mitarbeiter, der über seine Pflichten hinaus mitdenkt.»


ATLAS entlastete den Zoll

Die zweite Besonderheit in Deutschland war, dass die Digitalisierung für das Personal vordergründig Zeit einsparte. Das Software-Paket ATLAS (Automatisiertes Tarif- und Zollabwicklungs-System) führt eine lernende Risikoanalyse aus. Damit sortiert die Software die nicht prüfenswerten Warensendungen aus. «Anders ginge es gar nicht», sagt Kailer. 2020 hatte Deutschland 79,8 Millionen Zollanmeldungen im Bereich der Einfuhr und 165 Millionen im Bereich der Ausfuhr.

Weitere 100 Millionen wären durch den Wegfall der Mehrwertsteuer-Befreiung für Waren unter 22 Euro hinzugekommen. Das Parlament wollte dem Zoll lediglich 50 zusätzliche Stellen gewähren (statt der über 1000 vorgeschlagenen). Ohne «ATLAS-IMPOST» wäre die Mehrarbeit daher nicht zu bewältigen gewesen.

Zudem hat die Digitalisierung die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert. Die Pandemie hat hier einen Prozess beschleunigt: Die Arbeit kann grundsätzlich von zu Hause aus erledigt werden. Ausserdem spart der Staat damit auch an Bürofläche.


Wenig Aufstiegschancen, aber gute Lebensqualität

Der Zoll musste in Deutschland in der Vergangenheit bereits viel Personal abgeben. Trotz aktuell steigender Einstellungszahlen ist eine Zollkarriere nicht besonders attraktiv, auch weil die Aufstiegschancen beschränkt und zudem die Löhne tiefer als die der Landes- oder Bundespolizei sind. Dafür kommt der Staat den Beschäftigten in sozialen Belangen entgegen, so gut es geht.

Auch der deutsche Zoll kennt seit kurzem die mobilen Einheiten. Wer hingegen in die Warenkontrolle wechseln wollte, bekam diese Möglichkeit. «Die Verwaltung zeigte sich dahingehend sehr grosszügig», schätzt Kailer. Schliesslich seien viele nicht bereit, die üblichen Arbeitszeiten gegen einen 24/7-Betrieb zu tauschen.

Diese vielen guten Kompromisse kamen nicht zustande, weil der Staat wegen der mässig attraktiven Arbeitsbedingungen ein schlechtes Gewissen gegenüber den Zollbeamten hat. Offensichtlich gilt der BDZ als vertrauenswürdiger, zuverlässiger Partner und Ratgeber und wird dementsprechend eng eingebunden. «Der BDZ versteht sich als sehr seriöse Gewerkschaft mit fundiertem Fachwissen. Wir erklären Entscheidungen und sind mit unserer fachlichen Expertise anerkannte Gesprächspartner», beschreibt Kailer seine Gewerkschaft. «Im Zentrum steht ein gut verhandelter Kompromiss und die Besserstellung des Mitglieds.»



Auch in Österreich kam der Staat sehr entgegen

2004 wurde die Grenzwacht in Österreich gleich ganz aufgelöst. Die Strategie des Staates und der Gewerkschaft beim Umbau setzte auf Freiwilligkeit und dem Einbezug des Personals.

Die Osterweiterung der EU 2004 bedeutete für Österreich den Wegfall der Grenzkontrollen fast fürs ganze Staatsgebiet. Bis auf die wenigen Kilometer Grenze mit der Schweiz und Liechtenstein sowie die Flughäfen, blieb der Zollwache kein Arbeitszweck. Die Politik entschied daraufhin, die Zollwache gleich ganz aufzulösen. Die ehemalige zweigeteilte Zollverwaltung soll einheitlich werden. «Das war eine politische Bombe», gibt Friedrich Mannsberger zu.


Freiwilligkeit war Trumpf

Österreich schaffte es, die Überführung eines Teils der Grenzwacht ins Innenministerium einigermassen glimpflich über die Bühne zu bringen. Viele ehemalige Mitglieder des rund 2200 Personen starken exekutiven «Wachekörpers», sprich Grenzwächter, wechselten mit dem Wegfall der Ostgrenzen freiwillig zur Polizei ins Innenministerium. Der andere Teil verblieb in der Zollverwaltung, die dem Finanzministerium unterstellt blieb. «Diesen exekutiven Wachekörper haben wir gewerkschaftlich gut unterstützt und vertreten, und wenn die Polizei mit ihrer starken Gewerkschaft für die Mitarbeiter etwas Gutes verhandeln konnte, konnte die Zollwache davon auch profitieren», zeigt Friedrich Mannsberger, der Vorsitzende der Bundesfachgruppe Zoll des ÖGB die Synergien mit der Polizeigewerkschaft auf. Die versetzten Angestellten bekamen zudem eine dreijährige Lohngarantie. Dies war eine speziell die Reformen der Bundesregierung unterstützende, für die ehemalige Zollwache definierte Bestimmung im Gehaltsgesetz, die sogenannte «Parkdeck-Regelung».

«Happy ist ein Mitarbeiter deswegen noch nicht. Dieser identifiziert sich mit seinem Job, dann kommt die Reform – kaum jemand ist darob glücklich. Wir von der Personalvertretung sorgten aber dafür, dass der Dienstgeber die Mitarbeiter eingebunden, informiert, befragt und begleitet hat. Zusätzlich zu den gesetzlichen Bestimmungen haben wir auch versucht, wo notwendig, gezielte soziale Umsetzungen zu finden.»

So schuf die Übergangsphase nach 2004 positive Korrekturen. Während dieser ersten Jahre lösten sich die meisten Probleme auch dank bilateralen Vereinbarungen zwischen Staat und Gewerkschaft von selbst auf. Dies, weil es in der Zwischenzeit auch gelang, neue hochwertige Arbeitsplätze für die versetzten ehemaligen Mitglieder der Zollwache zu schaffen. Zudem eröffneten sich den unzufriedenen Mitarbeitenden relativ rasch wieder Möglichkeiten, eine für sie passende Funktion an einem ihnen genehmen Ort zu finden.


Sozialpartnerschaft und Konsens

Aber diese Übergangsjahre waren für die Gewerkschaft ausserordentlich intensiv. «Natürlich mussten wir hin und wieder mit der Kette rasseln, damit die andere Seite erkannte, dass uns vielleicht auch zu Recht etwas Bestimmtes nicht passt», gibt Mannsberger zu. Aber er betont, dass in erster Linie der Weg der Sozialpartnerschaft der Königsweg war. «Wenn du sozialpartnerschaftlich ins Gespräch kommst, kannst du als Gewerkschaft weiterkommen. Wenn du nur auf die Strasse gehst, dann wird es schon viel schwieriger. Wenn eine grosse Veränderung funktionieren soll, dann muss der Staat die Mitarbeiter gewinnen. Sie müssen dahinterstehen.»

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