05. September 2022 / Reportage

Bringt die Digitalisierung tatsächlich die erhofften Vereinfachungen?

Im April äusserten zehn Wirtschaftsverbände mit einem Brief an das BAZG ihre Bedenken bezüglich der Transformation und der damit verbundenen Neuerungen. Seither hat sich der Austausch aus Sicht der Branche offenbar verbessert, auch wenn sich die Verbände diesbezüglich nicht direkt äussern wollen. Dennoch bleiben einige Detailfragen ungeklärt, was die Unternehmen, insbesondere Spediteure und Softwarehersteller, stutzig macht.


Im April schickten zehn Wirtschaftsverbände einen kritischen Brief an das BAZG. Die NZZ berichtete. Auch Economiesuisse stand hinter dem Brief. Es lässt sich eruieren, dass die Branchenverbände aus Logistik, Spedition, Exportindustrie und Software im Namen Tausender Unternehmen – die zehn Verbände decken fast die gesamte Schweizer Wirtschaft ab – skeptisch sind, ob Passar wirklich Vereinfachung und tiefere Kosten mit sich bringt.


Die Interessen der Wirtschaft in Sachen Zoll sind schnell ermittelt: Die Zollabwicklung muss funktionieren, und die Unternehmen brauchen Planbarkeit und Rechtssicherheit. Stand heute ist alles gewährleistet; aus Sicht der Unternehmen braucht es keine aussergewöhnliche Reorganisation oder Vereinfachungen. Die heutigen Kosten der Zollabwicklung sind angemessen, die Prozesse klappen, das Zusammenspiel mit dem Ausland ist gut. Markus Eberhard, Geschäftsführer und Gründer von FineSolutions – eine der vier grösseren Firmen, die die Software für die Zollabwicklung produzieren – sagt: «Es ist klar, dass es einfacher werden soll. Aber was genau soll einfacher werden? Was stellt sich das BAZG vor? Niemand kann wirklich Ideen oder Anforderungen vermitteln.» Weiter: «Das BAZG hat gesagt, die Wirtschaft wird pro Jahr 120 Millionen Franken sparen. Es soll mir jemand vom BAZG sagen, wo denn genau? Anhand der Vorgaben sehe ich nicht, wie man auch nur 1000 Franken jährlich sparen kann.»


Im Brief machte die Wirtschaft dem BAZG dementsprechend klar, dass sie von Passar nicht überzeugt ist. «Wir stellen jedoch fest, dass die Einführung von Passar im Vergleich zum bestehenden System lediglich minimale Vereinfachungen ermöglicht, aber zu unverhältnismässigen zusätzlichen Aufwänden für die Wirtschaft führt.» Sorgen machten sich breit auch bezüglich der Softwareentwicklung. Gegenüber der Ankündigung, Passar 1.0 auf Anfang Juni 2023 einzuführen, äusserten sich die Wirtschaftsverbände «sehr kritisch». Darüber mehr auf Seite 7. Die Verbände kritisierten auch eine mangelhafte Einbindung der Wirtschaft.


Die Verbände schauen nach vorn

Das BAZG reagierte am 4. Mai mit einem «Brief an die Wirtschaft» (online auf der Seite Begleitgruppe Wirtschaft auffindbar), indem es abwiegelte und relativierte. Man sei überzeugt, dass die Nutzenziele des Transformationsprogramms eingehalten würden. Das BAZG ging weiter auf die brieflichen Einwände der Wirtschaft ausführlich ein und versprach unter anderem, einige Fragen in Workshops und der Begleitgruppe Wirtschaft anzugehen und Klarheit zu schaffen.


Wir fragten Economiesuisse direkt, ob sich die Angelegenheit in ihrem Sinn verbessert hat, und welche Massnahmen die Unternehmen getroffen haben oder künftig wünschen. Wir erhielten ausweichende Antworten, die inhaltlich nichts hergeben und schon gar nicht auf die vergangenen Probleme zurückblicken. Es lässt sich aber ein Grundrauschen herauslesen: Economiesuisse geht die Situation pragmatisch an und spricht nicht über Schwierigkeiten. Man könnte es als freundliche Haltung gegenüber dem BAZG interpretieren, verbunden mit einem Optimismus, dass das BAZG nun die Einwände und Inputs der Wirtschaft ernst nimmt.


So hält die Medienstelle gegenüber dem Garanto Magazin fest: «economiesuisse schätzt daher die verschiedenen, bereits seit längerem bestehenden Gremien des BAZG wie z.B. die Begleitgruppe Wirtschaft, da diese einen regelmässigen institutionalisierten Austausch zwischen Wirtschaft und Verwaltung erlauben.» Economiesuisse sei wichtig, «dass seitens BAZG bei allen DaziT-relevanten Themen eine aktive Mitarbeit ermöglicht wird und eine fortlaufende Information auch zu einzelnen Zwischenschritten erfolgt, damit die firmeninterne Umsetzung früh genug vorbereitet werden kann. So können auch mögliche Alternativen rechtzeitig diskutiert werden.»


Auch Spedlogswiss hat eine Anfrage des Garanto Magazins nur knapp beantwortet. Als Branchenverband, der die Interessen der professionellen Verzollungsunternehmen der Schweiz vertritt, verfügt Spedlogswiss über sehr gute und langfristig angelegte Kontakte zum BAZG. In Arbeitsgruppen und bei direkten persönlichen Gesprächen hat der Verband jederzeit genügend Möglichkeiten, seine Anliegen, Ideen oder auch Kritikpunkte einzubringen. Dies liess Spedlogswiss-Direktor Thomas Schwarzenbach durchblicken.


Kritik ist nicht verstummt

Alle Zeichen stehen also auf konstruktiven Austausch, könnte man meinen. Allerdings lässt sich aus diesen Antworten der Verbände nicht herauslesen, ob die Möglichkeiten des Austauschs tatsächlich Früchte tragen. Das Eine ist, sich auszutauschen. Davon zu profitieren, ist etwas anderes.


Auch wenn die Verbände es nicht beim Namen nennen: Gegenüber dem Frühjahr muss diesbezüglich eine deutliche Verbesserung eingetreten sein. Diesen Eindruck haben auch gut informierte Quellen aus den betroffenen Branchen, mit denen das Garanto Magazin sprechen konnte. Davor, so die Quellen, habe das BAZG einseitig Entscheidungen getroffen und sie den eingeladenen Verbänden und Vertretern aus der Wirtschaft präsentiert. Markus Eberhard sagt: «Am Anfang waren nur die Verbände zu den Treffen zugelassen, keine Exporteure und keine Softwarehersteller. Als wir auch eingeladen waren, waren wir eigentlich nur Befehlsempfänger. Die Sitzungen waren dermassen eng geführt, dass wir uns nicht getrauten, mit Fragen zu unterbrechen. Wir konnten nie Ideen von uns oder von Kunden einbringen, und wurden auch nie gefragt.»


Jetzt habe er das Gefühl, beim BAZG sei man viel offener gegenüber Inputs von aussen. Jetzt, wo das Projekt in die Details geht, merkt man beim BAZG, dass die Puzzleteile nicht zusammenpassen. Man hat das Know-how intern vielleicht nicht gut genutzt, und jetzt ist das BAZG darauf angewiesen, das Know-how der Wirtschaft abzuholen.»Eberhard erklärt sich die Situation so: «Ich habe das Gefühl, dass es beim BAZG keinen Master-Architekten gibt, der wirklich eine Ahnung hat, was in diesem komplexen System alles drinsteckt. Das dachten wir schon vor vier Jahren: Niemand hat bereichsübergreifend einen Masterplan. Diese Person habe ich nie getroffen.» Es fehle bei der Projektleitung das Fachwissen aus der Praxis, das alle nötigen Aspekte abdeckt.


Spielraum für Vereinfachungen scheint gar nicht vorhanden
In der Branche herrscht jedoch Einigkeit, dass eine teilweise Erneuerung des Systems Sinn macht. Heute verwendet der Zoll ein veraltetes, fehleranfälliges System. E-dec kommt ans Ende seiner Laufzeit. «Es ist wichtig, dass die technische Infrastruktur auf ein aktuelles Level gehoben wird», sagt Eberhard. Viel mehr könne man nicht vereinfachen oder erneuern. Das System Zoll, so beurteilen dies Branchenvertreter aus der Praxis, ist hochraffiniert, es gab immer wieder punktuelle Verbesserungen, pragmatische Lösungen, die eine effiziente Zollabwicklung ermöglichen». Spielraum für Verbesserung scheint also kaum vorhanden. Markus Eberhard erläutert: «Man könnte sich höchstens vorstellen, dass alles durchgehend elektronisch werden soll. Aber das liegt nicht in der Hand des BAZG, sondern am meisten in der des ausländischen Zolls.» In Deutschland, das den Zoll schrittweise modernisiert, sei ein Verzicht auf Papier nicht vorgesehen. Österreich bleibt tendenziell beim Papier, nachdem das Land seine wuchtige Modernisierung des Zolls wegen grosser Schwierigkeiten stark bremsen musste. Auch die Vereinfachungen der Ausfuhr-Formulare dürften kaum umsetzbar sein. «Unter 52 Feldern bei den Formularen geht das nicht. Wenn man hier reduzieren will, müsste man die internationalen Abkommen ändern», erklärt Eberhard. Auch sei die Verlängerung der Frist für Beschwerden mit Rückforderungen von 60 Tagen auf ein Jahr nicht als Vereinfachung zu verstehen. Ein Jahr ist die Frist, die in der EU festgelegt hat.


Die Planbarkeit ist beeinträchtigt

Ein wichtiger Aspekt, der auch im Brief der Wirtschaft betont wird, ist der Zeitplan und gewisse Vorlaufzeiten. Das NCTS, von der EU zwingend vorgegeben, muss in Passar integriert werden. Das BAZG hatte ursprünglich geplant, dass Passar (Einführung Juni 2023 gemäss BAZG) auf einem Schlag ohne Übergangszeit die jetzigen Systeme ersetzt, musste aber zweimal zurückbuchstabieren, sowohl bei der Einfuhr der Waren als auch bei der Ausfuhr. NCTS wird Ende November 2023 beendet, E-dec sogar im Juni 2024. Die Wirtschaftsvertreter verlangen ein Jahr Zeit ab Einführung von Passar, um planen zu können, die Prozesse und Schnittstellen anzupassen, Tests mit exportierenden Firmen zu machen und Kinderkrankheiten zu erkennen und auszumerzen. Insbesondere für die Spediteure ist die Planbarkeit sehr beeinträchtigt.


Softwareentwicklung soll im September starten
Derweil haben die Softwarefirmen wie FineSolutions dieser Tage im September begonnen, die Zollabwicklungs-Software zu programmieren – sofern das BAZG sein Versprechen gehalten hat, bis Ende August die nötigen Spezifikationen zu liefern. Die Software ist mit dem Zollverfahren eng verknüpft. Spezialisten aus beiden Gebieten müssen bei der Entwicklung der Software eng zusammenarbeiten – eine Voraussetzung, die das BAZG erst sehr spät geschaffen hat, lautet die Kritik aus der Branche. Ausserdem habe das BAZG die Spezifikationen seit Winter nur tröpfchenweise geliefert. So konnte die Programmierarbeit nicht beginnen: «Wir können nicht anfangen, bevor wir etwa 95 Prozent der Informationen haben», erklärt Eberhard. «Wer entwickelt denn Software anhand halb leerer Spezifikationen? Das machen blutige Anfänger. Und das sind wir wirklich nicht mehr.»
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