23. Februar 2024 / Reportage

«Wichtig ist der Ton»

Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist der Romand Pascal Lüthi offiziell der neue Direktor des BAZG. In ihn ruhen grosse Hoffnungen vonseiten der meisten Mitglieder von Garanto, und mit ihnen wohl auch ein grosser Teil der Belegschaft. Wird der Direktor eine Kursänderung herbeiführen, wie sie sich weite Teile des Personals, insbesondere die Garanto-Mitglieder, wünschen?


Uns empfängt ein umgänglicher, interessierter und offenherziger Mensch zum Interview in seinem Büro in der BAZG-Zentrale in Bern. Das Gespräch war auf 45 Minuten Länge angesetzt – er nahm sich mehr als doppelt so viel Zeit.

Pascal Lüthi war zu diesem Zeitpunkt erst seit drei Wochen als Direktor tätig und konnte sich verständlicherweise zu wenigen aktuellen Themen dezidiert äussern. Dennoch entstand sofort der Eindruck, dass sich dieser Direktor gewissenhaft ein gesamthaftes Bild der Lage machen will. Pascal Lüthi scheint von der Herausforderung aufrichtig begeistert zu sein. Im Interview bestätigt sich zumindest eine vielversprechende Haltung seinerseits: Lüthi hat ein offenes Ohr für die Fakten, die die Angestellten mithilfe von Garanto auf den Tisch bringen.


Pascal Lüthi, warum sind Sie diese Stelle angetreten?

Das ist eine gleichzeitig einfache und schwierige Frage. Zunächst einmal: Man plant nicht, Direktor des BAZG zu werden. Nach über 10 Jahren als Polizeikommandant verspürte ich den Wunsch nach einer Veränderung. Ich bin der Meinung, eine Führungsposition sollte man nicht zu lange innehaben, weil das nicht gut ist für die Organisation. Dann habe ich mir überlegt: «Was jetzt?». In meiner vorherigen Position in Neuenburg waren die Beziehungen zum BAZG, einer langjährigen Partnerorganisation auf Bundesebene, immer sehr gut. Für mich war deshalb sofort klar, dass diese Stelle hochinteressant ist. Der Zeitpunkt war optimal, also habe ich mich beworben. Der Rest war nicht mein Entscheid.

Was kohärent ist in meinem Lebenslauf: der sicherheitspolitische Bereich. Nach meinem Doktorat in Physik habe ich meine Karriere beim Bund im Nachrichtendienst gestartet, dann war ich lange Zeit auf Kantonsebene tätig, und jetzt wieder beim Bund. Für mich ist das eine ganz logische Entwicklung. Ich bin sehr froh, hier zu sein. Mein erster Eindruck, die verschiedenen Vorhaben sind beeindruckend. Die Erwartungen, die ich spüre, sind hoch. Aber ich fühle mich gut aufgenommen von den Mitarbeitenden, die ich getroffen habe und ich bin voller Energie, die Themen anzugehen.


Sie sind als Wissenschafter in die Domäne der Sicherheit des Bundes (NDB) gerutscht. War das Absicht oder hatte sich das einfach so ergeben?

Das war nicht geplant, nein. Ich hätte meine wissenschaftliche Karriere auch fortsetzen können. Aber die DNA des Physikers zeichnet sich aus durch eine grosse intellektuelle Offenheit: Für den Physiker gibt es kein Thema, das nicht interessant wäre. Für mich war das eine einmalige Gelegenheit. Dort sind für mich erstmals die wissenschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragestellungen zusammengekommen. Das war mein Einstieg in den Sicherheitsbereich. Langsam bin ich kein Physiker mehr, aber was mich immer noch ausmacht: Ich gehe Zahlen und Fakten kohärent an. Die Lust auf komplexe Fragestellungen und das Streben nach Fakten sind geblieben. Ich werde immer den Gesamtkontext verstehen wollen. Es sind nicht losgelöste Fakten oder Ereignisse, sondern das Gesamtbild, worauf ich meine Entscheidungen basieren möchte.


Würde dies bedeuten, dass Sie eher später entscheiden, und lieber noch mehr Informationen sammeln, statt Schnellschüsse zu tätigen?

Einerseits ja, das ist die nach wie vor vorhandene Seite des Physikers in mir. Andererseits haben mich über zehn Jahre als Polizeikommandant geprägt. Ich kann genauso gut rasch Entscheide fällen, wenn es die Situation erfordert. Das Switchen von einem Modus in den anderen, im richtigen Moment, das ist wichtig.


Welche Erwartungen haben Sie an sich selbst?

Zunächst: Ich habe bereits nach wenigen Tagen gespürt, wie hoch die Erwartungen an mich als neuen Direktor des BAZG sind. Das hat mit der aktuellen Situation zu tun; ich spüre eine gewisse Unsicherheit. Was deshalb aus meiner Sicht zentral ist und mit Bedacht angegangen werden muss: die Zusammenführung zweier Kulturen in eine neue, gemeinsame Kultur. Um das geschickt zu begleiten, muss ich diese beiden heute existierenden Kulturen sehr gut verstehen. Unsere Unternehmenskultur soll geprägt sein vom Stolz, Teil des BAZG zu sein und eine sinnstiftende Arbeit zu verrichten. Diese Identifikation der Mitarbeitenden mit der Organisation spüre ich sehr stark. Die andere Erwartung ist genereller: Es wird Klarheit erwartet, Klarheit in der Führung. Zudem gibt es Funktionen in der Geschäftsleitung zu besetzen. Daneben sind Prioritäten wichtig. Die Realität ist: Wir haben gefühlt immer weniger Ressourcen, aber immer mehr Arbeit. Die Lösung ist nicht, mehr Ressourcen zu verlangen, sondern die Prioritäten zu setzen. Wie können wir gesamthaft als BAZG unsere Verantwortung übernehmen? Ich werde mich den strategischen Fragen widmen – Themen rund um Ressourcen, Finanzen, politische Geschäfte. Gleichzeitig müssen strategische Überlegungen die Bedürfnisse des operativen Bereichs berücksichtigen.


Da liegt die gewerkschaftliche Kritik aus Sicht der Angestellten: Dass das Operative riskiert, bei dieser Transformation auf der Strecke zu bleiben.

Ich habe ein sehr gutes Verständnis für die – nennen wir sie – Expertenkultur, die es auch bei der Polizei und im Wissenschaftsbereich gibt. Diese ist geprägt von einem sehr hohen Qualitätsanspruch und dem Streben nach stetiger Verbesserung – davon profitiert die gesamte Organisation. Auf strategischer Ebene müssen wir von einer Expertenkultur zu einer Kultur finden, in der Priorisierung und Fokussierung einen ebenso hohen Stellenwert haben. Das geht nicht ohne Spannungen. Die Experten sollen weiterhin Experten bleiben, aber gleichzeitig das Prioritäts-Denken weiterentwickeln. Im Gegenzug müssen wir auf strategischer Ebene unser Prioritäts-Denken mit der Expertise verbinden. Die Verknüpfung dieser beiden Denkmuster ist zentral und soll geprägt sein von gegenseitigem Vertrauen. Das kann ich nicht allein bewerkstelligen. Hier müssen alle mitziehen. Der Experte muss sich bewusst sein, dass er andere Experten neben sich hat. Es geht es um gegenseitiges Verständnis und gegenseitige Unterstützung im Sinne des Ganzen.


Welche Erfahrungen haben Sie als Polizeikommandant gemacht in der Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften?

Wir hatten eine sehr gute Partnerschaft. Das heisst nicht, dass wir immer einer Meinung waren. Unterschiedliche Sichtweisen gehören zu einer Sozialpartnerschaft dazu. Der Dialog und der Respekt waren mir immer sehr wichtig, aber auch die persönlichen Beziehungen. Wir sind jedoch total unterschiedliche Organisationen: Eine Gewerkschaft ist demokratisch organisiert, eine führende Organisation nicht. Ich teile die Zusammenarbeit der Sozialpartner in verschiedene Bereiche auf. Der aus meiner Sicht wichtigste und tatsächlich auch grösste Bereich sind die gemeinsamen Interessen. Als Führungsverantwortlicher möchte man grundsätzlich eine effiziente Organisation mit Entwicklungsperspektiven und guten Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden schaffen. Bei Änderungsprozessen ist meine Erfahrung: Wenn die Geschäftsleitung und die Gewerkschaften in die gleiche Richtung gehen, dann ist das enorm effizient. Der zweite Bereich: Die Gewerkschaften bringen eine Perspektive mit ein, die die Geschäftsleitung so nicht hat. Das schafft Mehrwert und fundiertere Lösungen. Wichtig ist der Ton. Ich wünsche mir eine Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe und hoffe auf gegenseitiges Verständnis in Situationen, in denen wir nicht in die gleiche Richtung gehen können. Ich habe in der Vergangenheit immer versucht, mit Transparenz und Vertrauen zu arbeiten und habe dabei gute Erfahrungen gemacht.


Es gab mit dem BAZG-VG bis im Frühjahr die Frage der Kompetenzbereiche mit den Kantonen in Sachen Grenzsicherheit: Können Sie hier besonders gut vermitteln, weil Sie beide Seiten kennen?

In Neuenburg habe ich die Zusammenarbeit mit dem BAZG nie als problematisch empfunden. Es war eine selbstverständliche, pragmatische Zusammenarbeit. Die von den Kantonen geäusserten Kritikpunkte wurden in der Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz von alt Regierungsrat Urs Hofmann geklärt. Das Bereinigungskonzept mit den erarbeiteten Änderungsvorschlägen wird im weiteren Prozess mit einbezogen. Grundsätzlich werde ich in der Zusammenarbeit stets ein Auge darauf halten, Klarheit zu schaffen. Es geht darum, die Schwerpunkte des BAZG und die Bedürfnisse der Kantone in Einklang zu bringen und dabei die Gesamtsicht auf die Schweiz nicht zu verlieren. Das Modell zur Zusammenarbeit muss dafür flexibel genug sein, das Gesetz gibt die Rahmenbedingungen dazu vor. Meine langjährige Erfahrung im Polizeibereich und meine Kontakte zu den Kantonen sind dabei sicher von Vorteil.


Was inspiriert Sie am meisten am Beruf des Zöllners oder Grenzwächters?

Der berufliche Stolz. Den musste ich nicht entdecken. Der ist sofort spürbar. Und was ich wirklich schön finde: Die Grenze spielt in allen Bereichen eine wichtige Rolle («la frontière est sur tous les fronts»), in allen Krisen, in allen strategischen Fragen der Politik, der Finanzpolitik des Staates, den Beziehungen mit den Nachbarn. Das fasziniert und begeistert mich.


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