01. Juli 2022 / Reportage

Die GPK des Ständerats nimmt das heisse Eisen in die Hand

Text: Riccardo Turla, Redaktion


Es ist sehr selten so schwierig, Aussagen für einen Artikel zu bekommen, wie es für diesen Artikel war. Die Diskussion um die Waffe ist offenbar ein heisses Eisen, über das keine Beteiligten und auch manche interessierte Unbeteiligte sprechen wollen oder können. Dennoch kamen spannende Ansätze zustande, aus juristischer Sicht, aber auch aus personalrechtlicher.

Einzelne ehemalige zivile BAZG-Mitarbeitende gaben zwar ihre Gedanken zu ihren Abwägungen preis, wollten aber nicht mit Namen hinstehen, aus Angst vor Nachteilen oder Konfrontationen am Arbeitsplatz. Der heutige Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) wollte sich kategorisch auf keine Weise zum Thema Bewaffnung äussern, insbesondere im Zusammenhang mit dem BAZG. Verständlicher war die Reaktion des BAZG, das wir einluden, auf unsere Recherche Stellung zu nehmen. Die Medienstelle teilte uns mit, man werde sich zum Thema im Moment nicht öffentlich äussern. Alles ist auf den 23. September verschoben. Bis dann soll der Bundesrat auf die Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission des Ständerats (GPK-S) Stellung nehmen.


Die Bewaffnung ist in vieler Hinsicht kritisch

Auf vier Ebenen ist die Bewaffnung des zivilen Personals – und im Prinzip auch des zukünftigen – problematisch bis unzulässig. Es gibt die rechtliche Ebene (Spielraum im jetzigen Zollgesetz), die institutionelle (Entscheidungshoheit, Verfassungsfragen, Zuständigkeiten der Grenzwacht), arbeitnehmerische (Zumutbarkeit und Anforderungen) und ökonomische (Bewaffnung, Ausbildung und Wiederholungskurse).

Im Gespräch mit Dr. Markus Mohler (folgende Doppelseite), ehem. Dozent für öffentliches, spezielle Sicherheits- und Polizeirecht an zwei Universitäten, mit Fokus auf Staats-, Verfassungs-, Sicherheits-, Verwaltungsrecht und Grundrechte, früher Staatsanwalt und dann Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt, hat zu allen diesen Ebenen eine klare Analyse parat.


«Das Bundesamt für Justiz schoss aus allen Rohren»

In erster Linie findet er den GPK-S-Bericht sogar sehr sanft. «Da hat die GPK den Bundesrat mit Samthandschuhen angefasst», urteilt er. Mohler sieht die Vorgehensweise des BAZG in der Transformation als rechtswidrig und verfassungswidrig, ohne Wenn und Aber. Seinerzeit hatte er das Vernehmlassungsverfahren zum neuen Zollgesetz verfolgt und sogar die Ämterkonsultation verlangt und gelesen. «Das Bundesamt für Justiz hat aus allen Rohren gegen den Entwurf geschossen», weiss er.


«Vor allem ein ökonomischer Unsinn»

Bis neulich vertrat das BAZG jedenfalls die Auffassung: Eine Bewaffnung ausserhalb des GWK gemäss Art. 228 ZV sei rechtens. Die Zweifel aus Sicht von Garanto sind jedoch nie kleiner geworden – mit dem GPK-S-Bericht haben sie sich bestätigt. Artikel 106 des aktuellen Zollgesetzes gewährleistet, dass das Grenzwachtkorps zur Erfüllung seines Auftrags Waffen und andere Zwangsmittel benutzen darf. Der Bundesrat bestimmt auf Verordnungsbasis die Regeln für das übrige Personal des BAZG. Hier untersteht er aber gewissen übergeordneten Vorgaben, teils verfassungsrechtlich. Es braucht gute Gründe, um jemanden zu bewaffnen (vgl. Militärverwaltung, Seite 7).

Im Prinzip ist die Bewaffnung der Aspirant:innen auch nicht zwingend.  «In manchen Polizeidiensten ist rund ein Drittel unbewaffnet», sagt Mohler. Chemiker, Forensikerinnen, Analysten, Verwaltungsangestellte, die keine Waffe tragen. So viele Angestellte zu bewaffnen, sei «vor allem ein ökonomischer Unsinn», sagt Mohler. Ausserdem schliesst man potenziell hervorragende, hochqualifizierte Zollfach-Aspirant:innen aus, nur weil sie sich für einen bewaffneten Einsatz nicht eignen. Wer aufgrund gesundheitlicher Probleme eines Tages die Waffe niederlegen müsste, müsste man intern versetzen, weiss Mohler. Das BAZG hat bereits zugesichert, dass dem bestehenden Personal ohne Waffe ein ihren Fähigkeiten und Ausbildung entsprechender Arbeitsplatz garantiert ist. Also warum der Waffenzwang für alle Neuen?


Grenzsicherheit ist Kantonssache

Zwischen dem BAZG und den Kantonen gäbe es zudem Zuständigkeitskonflikte, führt Mohler ins Feld: «Grenzsicherheit ist Aufgabe der Kantone und somit ihrer Polizeien.» Der Bund dürfe nur sich selbst schützen, also Bundesrat, Bundeshaus, teilweise das Diplomatencorps. «Der Anspruch, dass jetzt das BAZG eine Bundeskriminal- und Sicherheitspolizei wird mit Kompetenzen im ganzen Staatsgebiet, ist verfassungswidrig. Zweimal hat das Volk die Bildung einer Bundes-Sicherheitspolizei abgelehnt, und die mobile Sicherheit ebenso. Das gilt immer noch.»

Es deutet also einiges daraufhin, dass auch in Zukunft viele Fragen geklärt werden müssen, wohin die Reise führt. Stand jetzt führt sie nicht dorthin, wo die BAZG-Führung denkt. Darum fordert die GPK-S eine faktische Sistierung von Bewaffnung und Uniformierung. Denn wenn Dutzende Millionen für Hunderte Schusswaffen und Schutzwesten ausgegeben werden, würde das BAZG wieder Tatsachen schaffen, die das Parlament bei der künftigen Zollgesetzrevision zähneknirschend einfach absegnen müsste. Das gilt wohl auch für die Weiterbildung Allegra in ihrer jetzigen Form.


Mohler: Uniformierung sekundär

Die einheitliche Uniformierung, die manchen Zollfachspezialst:innen Sorgen bereitet, relativiert Mohler hingegen. Bei der Polizei habe die gleiche Uniformierung für Bewaffnete und Unbewaffnete noch keinen Anlass für vertiefte Analysen gegeben. «Wir haben ja auch keine amerikanischen Verhältnisse», sagt Mohler. Die Angst sei verständlich, aber leicht übertrieben.

Jenes Personal, das sich mit der Bewaffnung schwertut, hat derweil klarere Sorgen. Wer sich nicht bewaffnen will oder beim Schusswaffen-Test nach der dreimonatigen Ausbildung scheitert, verliert seine aktuelle Stelle, und man weiss nicht, an welche Stelle man versetzt wird – trotz Zusicherung des BAZG, eine seinen Qualifikationen angemessene Stelle zu bekommen. «Personalrechtlich gesehen, haben diese Angestellten die ‹Zwei am Rücken›», sagt Mohler. «Für jene, die schon lange im BAZG sind, halte ich die Bewaffnung als möglicherweise unzulässig – aber in dieser Detailfrage bin ich nicht Experte.» Wiederum: Das BAZG würde die hohen Qualifikationen mancher Mitarbeitenden opfern wegen des Waffentragens, das möglicherweise unnötig ist.

Dr. Markus Mohler

Doktor in Jurisprudenz, in Binningen/BL wohnhaft. 1967–79 Staatsanwalt, dann bis 2001 Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt, zusätzlich unter anderem Präsident der Kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS, 1993–96). Er hatte einen Lehrstuhl an der Uni Basel 2005–11 und Uni St.Gallen 08–12 in öffentlichem, speziell Sicherheits- und Polizeirecht und hat Dutzende Publikationen zu juristischen Themen veröffentlicht.

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