01. Juli 2022 / Reportage

Die Bewaffnung ist eine ständige Herausforderung auf allen Ebenen

Text: Riccardo Turla (Redaktion), Michel Bachar (Interview-Fragen)


Die Waffenfrage ist in persönlicher Hinsicht heikel und geht mit Anforderungen ans Personal, an den Aufgaben und am Arbeitgeber einher. Welche Fragen muss man sich stellen, wenn man Angestellte neu bewaffnen will? Wir haben Markus Mohler ein Pflichtenheft eines durchschnittlichen zivilen Zollfachspezialisten gesendet, und haben ihn gefragt, ob und wie eine solche Person für Polizeiaufgaben und die Schusswaffe geeignet wäre.


Herr Mohler, denken Sie, dass es möglich wäre, heutige Zollfachspezialisten für Polizeiaufgaben umzuschulen?

Es geht meines Erachtens nicht um eine Umschulung, sondern um eine an bestimmte Voraussetzungen geknüpfte, sehr anspruchsvolle Zusatzausbildung, die insgesamt Monate in Anspruch nimmt. Es braucht eine eingehende Ausbildung im Recht: Verfassungsrecht, Grundrechte, Verhältnismässigkeitsprinzip in schwierigsten Situationen, spezifische Gesetze (Schusswaffenbestimmungen, Strafgesetzbuch), Ethik. Die Ausbildung muss den Anforderungen der «Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schusswaffen durch Beamte mit Polizeibefugnissen» vom 14.12.1990 (UNO Resolution 45/120) entsprechen. Diese Grundprinzipien sind 2013 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EMGR) für den ganzen EMRK-Raum für verbindlich erklärt worden. Ebenso muss die Ausbildung dem Europäischen Kodex für die Polizeiethik des Ministerkomitees des Europarates vom 19.9.2001 genügen. Das verlangt nicht nur eine eingehende theoretische Ausbildung, sondern auch praktische Übungen und erste Einsätze unter sehr naher Führung durch speziell ausgebildete Unteroffiziere in verschiedener Form. Dazu kommt unerlässlich eine eingehende taktische Ausbildung, nicht zuletzt, um einen Schusswaffeneinsatz zu vermeiden.


«Es ist meines Erachtens nicht möglich, eine Person, die bisher ausschliesslich im administrativen Bereich tätig war, zum Schusswaffeneinsatz ‹umzupolen›»


Viele Zollfachleute wissen, mit dem Verzicht der Waffe verlieren sie ihre gewohnte Stelle. Wie denken Sie über diese Ausgangslage für die Frage, ob sie sich bewaffnen sollen?

Die Bewaffnung bzw. der Schusswaffeneinsatz setzt Anforderungen an die individuelle Eignung voraus, die heute von den GWK-Mitarbeitenden verlangt wird. Es ist meines Erachtens nicht möglich, eine Person, die bisher ausschliesslich im administrativen Bereich tätig war, d.h. für Aufgaben, die nicht in Sekundenbruchteilen heikelste Entscheidungen über die psychische und physische Unversehrtheit anderer zu treffen verlangen, ohne die individuellen Eignungen (Charakter, Entscheidungsfreudigkeit, Nervenkostüm, Physis) so «umzupolen». Auch bei solchen, die die polizeiliche Aufnahmeprüfung bestanden haben, zeigt sich immer wieder im Laufe der Ausbildung, dass sie doch nicht geeignet sind.


Welche Risiken gibt es?

Es besteht eine Vielzahl von Risiken. Zuoberst auf Stufe Departement/BAZG: Im Falle eines rechtswidrigen Schusswaffeneinsatzes eines nicht hinreichend ausgebildeten Mitarbeitenden tragen die obersten Kader auch eine strafrechtlich erfassbare Verantwortung. Auf Stufe der Einzelnen: ein rechtlich nicht zulässiger oder taktisch/technisch fehlerhafter Schusswaffeneinsatz. Unter Umständen auch das Gegenteil: kein Schusswaffeneinsatz, obwohl angezeigt oder unverzichtbar, aus psychischer Überforderung. Abgesehen davon ist jeder Schusswaffeneinsatz auch für gut ausgebildete Mitarbeitende eine psychische Belastung, mindestens für eine gewisse Zeit. Kommt es zu Verletzungen oder gar einer Tötung, können Belastungsstörungen zurückbleiben. Das ist individuell unterschiedlich und hängt auch von der eigenen Auseinandersetzung mit dem Geschehen ab: Was habe ich falsch, was richtig gemacht, war es vermeidbar?


«Jeder Schusswaffeneinsatz ist auch für gut ausgebildete Mitarbeitende eine psychische Belastung»


Wenn eine Person nicht gern die Waffe trägt, kann es ihr generell wohl sein mit Pfefferspray, Schlagstock und Handschellen?

Auch der Umgang mit diesen Zwangsmitteln muss eingehend gelernt sein. Die Anforderungen sind tiefer als bei der Schusswaffe, da es sich um nicht tödliche Mittel handelt. Aber auch diese können bei falscher Handhabung rechtswidrig und/oder gefährlich sein. Dann drohen Strafverfahren.


Wenn Sie für die Rekrutierung des Personals zuständig wären: Welche Fragen würden Sie bei einem Vorstellungsgespräch stellen, bevor Sie den Neuen eine Schusswaffe überreichen würden?

Meines Erachtens kann dies nicht mit einem Vorstellungsgespräch erledigt werden. Damit würden die wesentlichen Punkte übergangen. Es braucht den ganzen Prozess einer Aufnahmeprüfung ins GWK, analog zur Polizei. Im polizeilichen Sektor wurde nicht ohne Grund den bisherigen Gemeindepolizeien, deren Mitarbeitende die Anforderungen der Schlussprüfung nach der polizeilichen Grundausbildung (nun zwei Jahre) nicht erfüllen, die Bezeichnung «Polizei» entzogen.


Was würden Sie Mitarbeitenden empfehlen, die aus ethischen Gründen nicht ins Militär gegangen sind?

Dann scheint mir eine berufliche Verwendung in Funktionen, bei denen diese Marbeitenden Zwang anwenden, eventuell gar die Schusswaffe einsetzen müssen, widersinnig.


Welche Wiederholungskurse und -übungen braucht es Ihrer Ansicht nach, um für den Waffeneinsatz tauglich zu bleiben?

Es braucht praktische Wiederholungsübungen (mehrere pro Jahr). Es geht dabei nicht nur um die Schiessfertigkeiten: Es braucht bspw. mit auf Videos dargestellten Szenen das Simulieren heikler Situationen. Damit können Polizeiangehörige immer wieder ihre Entscheidungskriterien und -abläufe in solchen Situationen trainieren.

Dr. Markus Mohler

Doktor in Jurisprudenz, in Binningen/BL wohnhaft. 1967–79 Staatsanwalt, dann bis 2001 Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt, zusätzlich unter anderem Präsident der Kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS, 1993–96). Er hatte einen Lehrstuhl an der Uni Basel 2005–11 und Uni St.Gallen 08–12 in öffentlichem, speziell Sicherheits- und Polizeirecht und hat Dutzende Publikationen zu juristischen Themen veröffentlicht.

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